K. Christiaens u.a. (Hg.): Missionary Education

Cover
Titel
Missionary Education. Historical Approaches and Global Perspectives


Herausgeber
Christiaens, Kim; Goddeeris, Idesbald; Verstraete, Pieter
Erschienen
Leuven 2021: Leuven University Press
Anzahl Seiten
332 S.
von
Adrian Juen, Zentrum für Schulgeschichte, Pädagogische Hochschule Zürich

Der durch die (Bildungs-)Historiker Kim Christiaens, Idesbald Goddeeris und Pieter Verstraete von der Mission and Modernity Research Academy (KU Leuven, Belgien) herausgegebene Sammelband initiierte 2021 die Schriftenreihe «Leuven Studies in Mission and Modernity».
Das Werk umfasst 332 Seiten und ist neben einer Einleitung in drei Grosskapitel zu je drei oder vier Aufsätzen unterteilt. Die AutorInnen entstammen diversen disziplinären Hintergründen, wobei sich die meisten als (Bildungs-)HistorikerInnen bezeichnen. Bei den Fachbereichen und Forschungsfeldern, die der Band mit seinem thematischen Spektrum abdeckt oder anschneidet, handelt es sich vorrangig um Global-, (Post-)Kolonial-, Bildungs-, Schul-, Religions-, Kirchen- und Missionsgeschichte. Diese Vielfalt artikuliert sich in unterschiedlichen Ansätzen und Schwerpunkten, denen die AutorInnen nachgehen. Allerdings sei angemerkt, dass eine dezidiert (historisch-)theologische oder (historisch-)religionswissenschaftliche Perspektive nicht vertreten ist. So werden bspw. dogmatische Fragen zu Mission und Bildung lediglich gestreift.
Da der Sammelband die moderne christliche Mission als globalhistorisches Phänomen zu untersuchen beabsichtigt, spielt nicht nur die disziplinäre Herkunft der AutorInnen eine Rolle. Nebst europäischen ForscherInnen schreiben WissenschaftlerInnen aus dem «‹global South›» mit (S. 21). Dies liegt im komparatistischen Ansatz der Globalgeschichte begründet und regt zum Nachdenken über regional bedingt unterschiedliche Forschungsperspektiven an. Eine in der Hinsicht ähnliche Publikation erschien vor einigen Jahren zur Geschichte der sozialen Bewegungen (vgl. Stefan Berger/Holger Nehring [Hg.], The History of Social Movements in Global Perspective. A Survey, London 2017), welche – ebenso wie die Mission – von politischen Strukturen, (zivil-)religiösen Ideen und pädagogischen Ambitionen geprägt waren.
Das hier besprochene Buch geht zunächst von der Missionsgeschichte aus, der – im Besonderen in Verknüpfung mit Bildung – nach heutigen Gesichtspunkten ein Forschungsdefizit attestiert wird. In dem Zusammenhang werden die facettenreichen Zugänge aktueller mission studies hervorgehoben: transnationale, auf gender fokussierende und postkoloniale Perspektiven. Die konzeptionelle Moderne, die sich klassischerweise durch Nationalismus, Imperialismus oder den ‹Aufstieg der Wissenschaft› auszeichnet, soll dahingehend eine Reflexion erfahren. Dementsprechend werden im Buch diverse (grenzüberschreitende) AkteurInnen vor Ort betrachtet sowie die Vorstellung von Missionaren als Schlüsselfiguren der Kolonialisierung und im Allgemeinen die Bedeutung der Religion für die Mission hinterfragt. Bildung wird dabei als «major contributor of missionaries in the twentieth century» (nach David Maxwell) einbezogen (S. 9).
Die Untersuchung der Verbindung von Mission und Bildung erscheint aufschlussreich, zumal in ihren Grundannahmen üblicherweise sowohl die Mission wie die säkuläre Bildung eine Form der Erlösung oder Offenbarung versprechen. Unter Bildung im Kontext der Mission wird folglich nicht nur die Vermittlung religiöser Inhalte verstanden. Unabhängig ihrer Curricula konnten Missionsschulen Stätten sowohl weltlichpolitischen Fortschrittsglaubens als auch konkreter Konversionsbestrebungen sein. Die Offenheit und Breite des Bildungsbegriffs («education») erlaubt es den AutorInnen zudem, nicht nur Schulbildung, sondern ebenfalls inoffizielle Bildungspraktiken zu berücksichtigen.
Auch daraus resultiert die grosse Diversität an Themen und Zugängen der elf Beiträge. Das erste Grosskapitel «Dilemmas und Transitions» befasst sich primär mit diachronen institutionellen Entwicklungen und der Transformation von Missionswissen. Im zweiten Teil «Collaboration and Competition» spielen dann die Interaktionen verschiedener Missionsgesellschaften vor Ort, lokaler Verwaltung, der Bevölkerung, Kolonialmächte und Kirchen im Ursprungsland die Hauptrolle. Gerade die Zusammenarbeit mit der indigenen Bevölkerung oder deren Widerstand steht oft im Zentrum. Das gilt auch für den dritten Teil des Buches, «Religion and Society», der sich mit dem Einfluss der Mission auf lokale Strukturen und Kulturen auseinandersetzt.
Nach Einschätzung des Rezensenten sind unabhängig der Grosskapitel drei wiederkehrende und verflochtene Kernthemen erkennbar: 1. Intentionen und Strukturen der Missionsbildung; 2. Netzwerk und Reichweite der Missionare/Missionsbildung; 3. Die Beziehung zwischen lokaler Bevölkerung und Missionaren. Im zweiten Grosskapitel ist überdies das Verhältnis zu den Kolonialmächten und in zwei Aufsätzen des dritten Teils die Mädchen-/Frauenbildung (Chepkemoi; Wang) von zentraler Bedeutung.
Grundsätzlich werden in nahezu allen Beiträgen direkte Bezüge sowohl zur Mission/Religion wie auch zur Bildung hergestellt. Zum thematischen Spektrum bleibt anzumerken, dass die meisten Aufsätze mehrere Schulstufen (Primar- bis Tertiärbildung) berücksichtigen, wobei sich einige auf informelle Bildung, Grundbildung oder höhere Bildung konzentrieren. Alles in allem werden katholische und protestantische Missionen in Asien, Afrika sowie Australien und Ozeanien vom ausgehenden 18. bis ins 21. Jahrhundert beleuchtet. Allerdings sind Schwerpunkte auf der katholischen Mission, Ost-, Süd- und Südostasien sowie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auszumachen.
Die Beiträge greifen durchwegs auf reichhaltige Quellen zurück, wobei nebst Schriftquellen aus europäischen und lokalen Archiven mitunter auch Interviews ausgewertet werden. Anhand der Quellenauswahl fällt auf, dass die Perspektive der Missionare bei Weitem am häufigsten berücksichtigt wird. Einzelne AutorInnen arbeiten darüber hinaus mit Quellen der Kolonialmächte oder der MissionsschülerInnen (prominent bei Rao; Rosnes; Chepkemoi; Wang). Jedoch ist mit dieser Feststellung inhaltlich wenig gesagt. Reichgelt etwa untersucht die agency indigener Kinder gewinnbringend anhand europäischer Quellenbestände.
Auch dadurch, dass die Quellenbasis bei den meisten AutorInnen überwiegend von Missionaren stammt, wirkt der Sammelband insgesamt akteurInnenzentriert. Die Beschreibungen der verschiedenen kirchlichen Institutionen und Missionare lassen einzelne Beiträge über Strecken deskriptiv wirken, besonders im ersten Grosskapitel nehmen Jahreszahlen und SchülerInnenstatistken einen grossen Stellenwert ein (Dujardin; Derksen; Athreya/D’Souza/Goddeeris). Das dürfte daran liegen, dass für die Geschichte der Missionsbildung vielerorts Überblickdarstellungen fehlen. In der Hinsicht leistet der Sammelband eine wertvolle Grundlage.
Dass es sich bei der globalhistorischen Erforschung missionarischer Bildung um ein Desiderat handelt, ist ebenfalls an den teils sehr ausführlichen Schilderungen der historischen Kontexte und Vorgeschichten zu erkennen. Allerdings lesen sich darob sämtliche Texte verständlich – wozu auch die hilfreichen Karten am Beginn jedes Artikels beitragen. Überhaupt darf angemerkt werden, dass die einzelnen Beiträge in der Regel klar strukturiert sind und mit einer eigenständigen Aussage überzeugen. Zu bemängeln sind diesbezüglich lediglich einige wenige allzu pauschale und absolute Bemerkungen, die die Kernaussagen der jeweiligen Aufsätze hingegen nur marginal trüben.
In der Einleitung verweisen die Herausgeber auf differenzierte Betrachtungen der lokalen Kontexte in Form von «micro histories» (S. 21). Dagegen muss indes konstatiert werden, dass sich viele Aufsätze eher auf mittlerer Flughöhe bewegen, in den ersten beiden Teilen zuweilen sogar auf der (lokalen) Makroebene. Es ist vor allem der dritte Teil des Buches, der Mikrostudien enthält, die in einiger Ausführlichkeit auf Schul- und Erziehungspraktiken eingehen (Chepkemoi; Wang; Reichgelt; ferner van Haaften; Bara).
Für theorie- und methodologieaffine LeserInnen sei überdies angemerkt, dass abgesehen von Rosnes’ Beitrag zu literacy und Wangs Aufsatz zu gender, body, performance und spatial spheres wenig weiterführende Theoriebezüge hergestellt werden. Dafür besprechen und dekonstruieren die meisten Beiträge (historiografische) Meistererzählungen und dichotome Wahrnehmungs/Darstellungsmuster: bspw. kategorische Zuschreibungen als europäisch oder indigen durch historische AkteurInnen und in der Geschichtsschreibung. Am häufigsten wird die Rolle der Mission in den Unabhängigkeitsbewegungen bzw. für die lokalen Nationalismen besprochen. Dabei zeigt sich, dass die Kolonialmächte den Missionen auch ablehnend oder gar feindlich gegenüberstehen konnten – gerade wegen der Bildung, die mitunter als Triebfeder von Unabhängigkeitsbestrebungen galt. In der Folge wurden und werden Missionare eher als Verbündete der lokalen Bevölkerung gesehen (van Haaften; Rao; Bara; Rannou). Die Vorstellung des Missionars als Imperialist oder Wegbereiter des Kolonialismus wird dahingehend fundiert irritiert.
Doch die Analysen des Buches gehen, und dies genauso begründet, auch tendenziell in die andere Richtung (exemplarisch Reichgelt), weshalb es schwerfällt, die Befunde des Sammelbandes in einer These zu verdichten. So zeigen sich die Herausgeber zurückhaltend und betonen in der Einleitung die Diversität der Beiträge ohne ein Gesamtbild zu zeichnen. Auf der vorsichtigen Suche nach Parallelen kommen sie zu folgender bemerkenswerten Feststellung: «Most Western authors are quite critical about missionairies and their education [...]. Authors from the ‹global South›, in contrast, appear to be more positive.» (S. 21)
Dass auf ein abschliessendes bzw. vorangestelltes vergleichendes Fazit verzichtet wird, mag für eine transnationale Studie erstaunen, ist aber für einen so breit gefächerten Sammelband nicht atypisch. Der Verzicht ist dem Buch anzurechnen. Es versteht sich zurecht als «multi-coloured kaleidoscope» (S. 21), das sowohl den Themen und Perspektiven der AutorInnen wie deren geografisch unterschiedlichen Forschungsgegenständen gerecht wird. Die einzige Konklusion betrifft also das Hervorheben der Diversität und der Notwendigkeit der Differenzierung. In diesem Sinne ist die Verbindung der Artikel unter dem Dach des Bandes Missionary Education stimmig. Er zeigt die verknüpften Möglichkeiten der Vergangenheit, Geschichte und Geschichtswissenschaft mustergültig auf.
Eine Leseempfehlung ist schliesslich für all jene ForscherInnen auszusprechen, die sich mit Missions oder globaler Bildungsgeschichte beschäftigen. Durch die thematische Vielfalt und die reflektierte Kontingenz der Erkenntnisse ist die Chance gegeben, dass sich für die meisten einschlägigen Forschungszusammenhänge mindestens ein inspirierender Aufsatz findet.

Zitierweise:
Juen, Adrian: Rezension zu: Christiaens, Kim; Goddeeris, Idesbald; Verstraete, Pieter (Hg.): Missionary Education. Historical Approaches and Global Perspectives, Leuven 2021. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 116, 2022, S. 441-444. Online: https://doi.org/10.24894/2673-3641.00127.